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Hamburg am 30.11.2011fünfter Tag des siebzehnten Zyklus

Salabalai

Winnetoussi, Diana, Schlomo und Elvis Pressler

Kreide auf Schultafel 150 x 100cm, gelöscht am 07.12.2011

Knickgeschichte

Das Frame war weiß. Das Ende des Filmstreifens war abgespult und klatschte rhythmisch gegen den Projektor. Er schaltete den Projektor aus, nahm die Rolle vom Projektor und ging mit ihr zum Umspuler. Es gibt nur dieses eine Dokument. Niemand würde es glauben, der es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Nur schnell jetzt. Jetzt zählte jede Sekunde. Er zog sich seine Jack an, zog sich die Kapuze über den Kopf und setzte sich seine Sonnenbrille auf. Er steckte sein Handy ein und zündete sich eine Selbstgedrehte an, zog daran, inhalierte den Rauch tief ein und formte beim Ausblasen Rauchringe in die Luft. Nun steckte er das Filmmaterial in einen Jutebeutel und dann den Jutebeutel in den Rucksack. Er setzte sich den Rucksack auf, der ihm jetzt so schwer vorkam, als wäre er voll mit Steinen. Halb sechs, er mußte sofort los. Um 21:15 Uhr war Übergabe des Dokumentes. Die Wahrheit musste ans Licht.

Er setzte sich auf sein Rad, rauschte durch die Toreinfahrt und vor die Füße einer Kleinfamilie. „Pass doch auf, Du Affe!“, schrie der junge Papa und berührte seinen Rucksack. „Achim, nicht Affe…“, murmelte er abgelenkt, während er das Fahrrad aufhob. Er musste es schaffen. Um 21:15 Uhr das Dokument übergeben. Vorher noch zu Fritz, den Stoff abholen. Dann zu Stefan, dann Heike, dann noch schnell zu Aldi. „Könnte ich noch schaffen. Wenn nicht, bin ich geliefert. Ich hätte es nicht allen recht machen wollen. „Kacke, Kacke…“

Aber es gibt Engel. Sie werden die Zeit schon falten und Synchronizitätseffekte einlenken. Aus dem Rucksack nahm er die Klimakapsel und schluckte sie entschlossen runter. Was solls, dachte er. Besser so, als wenn der Mond gegen die Wand prallt.

„Manfred! Mann, wach auf! Du hast verschlafen! Es ist soweit!“ Hektisch sprang er aus dem Bett. Er zog sich an, trank schnell noch einen Espresso, setzte sich seine Sonnebrille auf, dann nahm er die Filmrolle und steckte sie in einen Jutesack. Diesen wiederum steckte er in seinen Rucksack, setzte ihn auf und zündete sich eine Selbstgedrehte an. Auf dem Wohnzimmertisch lag noch sein Handy. Er steckte es ein und ging los, nachdem er seiner Frau einen kleinen Kuss auf ihre zarten Wangen gegeben hatte und ihr ein „Ich liebe Dich!“ ins Ohr gehaucht hatte. Er sah auf die Uhr, er musste sich beeilen, die Zeit wurde knapp. Die Wahrheit musste ans Licht kommen. Nun lag alles an ihm. Er hatte das Gefühl, als wäre sein Rucksack mit Steinen gefüllt.

Er hielt ein Taxi an und fuhr damit zum Bahnhof Altona, wo er sich ein anderes Taxi nahm. Immer wieder blickte er sich um. Seit wann fuhr der schwarze Van schon hinter ihnen her? Nach zweieinhalb Stunden Schnitzeljagd fühlte er sich sicher. Er zog seinen roten Pullover aus und zog sich die Trainingshose an, die er in seinem Rucksack hatte. Er steckte seine Sonnebrille wieder ein und setzte die Schirmmütze auf. Er griff sich einen Pizzakarton aus der Mülltonne und legte die Filmrolle hinein. Den Rucksack schmiss er weg.

Er fuhr mit der U-Bahn zum Hafen. Er musste jetzt nach Island. Dort war der einzige Mensch, der ihm helfen konnte. Er musste Frank treffen und die Übergabe checken. Aber dann könnte er sie nicht mehr rechtzeitig warnen. Sollte es das schon gewesen sein?

Er griff in seine Jogginghosentasche um nicht an sich zu zweifeln. Er fühlte sein Schlüsselbund, ein Feuerzeug und den Chip für das Schließfach. „Scheisse, da kommen sie um die Ecke.“ Er riss das Fahrrad in den benachbarten Blumenladen. Schlechte Idee. Sackgasse. „Warum mache ich das nur?“ Er rannte durch den Laden. Am Tresen vorbei zu den Toiletten, durchs Klofenster nach draussen. Er läuft so schnell er kann um nach sieben Metern in einem dicken Haufen Hundescheiße auszurutschen. Er versuchte seine Balance wiederzufinden, machte dabei eigenartige Bewegungen und lief mit voller Wucht gegen die Birke, die einsam im Garten stand. Einen kurzen Moment verlor er das Bewusstsein, dann hörte er Stimmen. „Er ist aus dem Klofenster abgehauen. Los, hinterher!“ … Er sprang auf und lief weiter. Schneller, noch schneller. Er sprang mit dem rechten Fuss auf die Sitzfläche um sich mit dem linken Fuß von der Rückenlehne abzudrücken und über den Zaun zu springen. Er sprang direkt in den Laderaum eines Lasters. Die Heckklappe schloss sich un der LKW setzte sich in Bewegung. Der LKW fuhr durch eine Kurve während die Klappe endgültig den Laderaum verdunkelte. Er tastete in der schaukelnden Dunkelheit. Er fand einen Lichtschalter. In dem Raum waren Decken. Er blickte auf die Schachtel in seinen Händen. Bis hierher war er safe. In der Wand am Ende des Raumes war ein kleines Fenster. Das Frame wurde weiß.

ENDE

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