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Hamburg am 08.12.2010vierter Tag des elften Zyklus

Es geht um die Wurst

Diana, Schlomo und Elvis Pressler

150 x 100 cm, Kreide auf Schultafel, gelöscht am 15.12.2010

Ein Markttag

Die Sonne scheint. Er lehnt sein Fahrrad an den Zaun und schließt es an. Der Wind weht eine Brise frisches Gemüse, Kaffee und Fisch zu ihm herüber. Er nimmt seinen Korb vom Gepäckträger und seinen Beutel aus der Satteltasche und geht über die Strasse. Es ist noch sehr früh und relativ leer auf dem Markt. Er ist müde, also geht er erstmal zum Kaffeestand und bestellt ein Eibrötchen und einen Kaffee. Bsssst Bsssst Bsssst Klatsch! Bsssst Bsssst Bsssst Klatsch! Er nimmt sein Handy aus dem Beutel, drückt die Annahmetaste und sagt: „Guten Morgen“… Guten Morgen… er fühlt sich beschissen. Was war noch? Ach ja, Annegret! Ich wollte ihr diese dämlichen Dackelstatue besorgen. Toll… um sechs Uhr zu Jörn! Das durfte er nicht vergessen. Scheiß Dackel! Sie bekommt Blumen. Dahinten… Beim Blumenhöker findet er bestimmt was Günstiges. Er steht auf und geht.

Zwischen den Marktständen fließt der Strom der Menschen streng zweispurig. Er reiht sich rechts ein und lässt sich Richtung Blumenstand mitnehmen. Es entstehen Staus, wenn ein Kinderwagen quer im Weg steht. Für einen Moment muss er seinen Kopf bemühen, um einen Weg um das Hindernis zu finden. Rund um die Störung wachen die Menschen auf. Einige schimpfen. Andere rempeln sich zufällig an. Hmm… die Frau riecht gut. Wie seine erste Freundin. Die Strömung treibt sie auseinander. Dieses mal bremst eine alte Frau mit einem Gehwagen. Rechts steht der Mann, der Waldmeisterbündel aus einem Bauchladen verkauft. Alle drei Sekunden sagt er „Waldmeister“. Er betont das „Wald“, verschluckt das „mei“ und stösst das „ster“ eine Quart höher hinterher. „WALDmeiSTER!“ Zwanzig mal in der Minute. Er denkt kurz an Holger Waltzer, der ging doch damals mal in seine Klasse. An den hatte er ewig schon nicht mehr gedacht. Warum auch? Er ging weiter. WALDmeiSTER brauchte er nicht, also blieb er erst beim Blumenstand stehen. „Tulpen, frische Tulpen, 20 Stück fünf Euro! Greifen Sie zu! Gehen Sie nicht vorbei, meine Damen und Herren, heute, hier, 20 frische Tulpen, erste Wahl, für nur fünf Euro! Machen Sie Ihrem Engel zuhause mal eine Freude!“ Sagt die Marktfrau zu ihm. Engel? Welcher Engel?, denkt er sich, sagt aber nichts und kauft ihr einen Strauss ab. „Soll ich ihn in Folie oder in Papier einwickeln?“, fragt ihn die Verkäuferin. „Papier“, sagt er, „ist umweltfreundlicher.“ Die Marktfrau sieht ihn von oben bis unten an, schüttelt ein wenig den Kopf, dreht sich um und wickelt den Strauss in Papier ein. „Bitte.“ „Danke.“ „Auf Wiedersehen.“ Klingeling! So viele Menschen am Wurststand. OK. Erstmal Brötchen und Obst. Da drüben gehen die alten Wenningers. Werden wohl ewig leben. Er wartet noch ein bisschen. So. Beim Bäcker ist weniger los. „Kannst Du nicht aufpassen?!? Fast die Blumen zerdrückt!“ Gut, er kassiert schon. „Hallo, ich hätte gern 6 Brötchen, und zwar: Drei Schrippen und drei Laugencroissants.“ „Ich hab leider nur noch ein Laugencroissant.“ „Gut, dann nehme ich noch zwei Normale dazu.“ Manche Fragen ließen sich so einfach beantworten und manchen war selbst das zuviel. Franz, der Sohn von Fabian, wäre mit zwei Brötchen weniger zurückgekehrt. Aber er selbst war ja schließlich auch erwachsen. Konnte man so erwachsen werden, dass man schließlich auf jede Frage innerhalb eines Augenschlages die richtige Antwort bekäme? Konnte man je so erwachsen werden? Was ist die Rettung der Welt? – zwei Normale! Annegret würde ihn nicht killen. Für jetzt war die Welt zunächst gerettet.

Er bemerkt, dass er schon eine Weile vor dem üppigen Obststand steht. Das Mädchen hinter der Auslage blickt ihn auffordernd an. Er hat einen Moment zu lange die Früchte betrachtet. „Was kann ich für Sie tun?“ fragt sie ihn und setzt ein Lächeln auf, dass es ihm warm ums Herz werden lässt. Für einen Moment vergisst er alles. „HALLO?“ sagt sie belustigt und mit einem Grinsen im Gesicht. „WAS KANN ICH FÜR SIE TUN?“ grins. Er starrt sie an und weiss nicht, was er sagen soll. „Was haben sie denn so?“ Sie muss lachen, er lacht auch. „Die Kirschen sind lecker, probier mal eine.“ Er nimmt sich eine uns steckt sie sich in den Mund. „Wirklich lecker“, sagt er, „ich nehme ein Pfund.“ „So wenig?“ „So viel esse ich nicht, ich bin allein.“ „Wieso allein? Ist mit Dir nicht gut Kirschen Essen?“ grins. „Doch, eigentlich schon. Hier, ich hab Dir Blumen mitgebracht.“ Sie lächelt wieder so charmant, dass er dahinschmilzt und fragt verdutzt: „Für mich?“ „Ja, für Dich. Und ich nehme doch zwei Pfund Kirschen. Wie heißt sie denn? Ich meine, die Sorte?“ „Regina, so wie ich.“ „Nein.“ „Doch!“ „Ach was, ich glaub das nicht.“ „Hör zu: das macht dann 4 Euro.“ Er lächelt noch eine kleine Weile in ihre Richtung, dann kommt die Information langsam bei ihm an. „Klar“, sagt er. „Klar.“ Er greift nach seinem Portemonnaie. Die Ökonomie ist der Feind der Romantik, denkt er. Hier, Regina, Du Mittelpunkt meines flüchtigen Tagtraumes, 4 Euro, Bitteschön. Sie lächelt ihn noch einen Moment an, dreht den Kopf zum Nächsten: „Bitteschön…?“

Er hatte nun alles beieinander. Es würde schon klappen mit Annegret. Und das Date mit Jörn würde er auch noch schaffen.

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